Am Samstag traf sich der Parteivorstand zu einer eintägigen Tagung in Berlin. Dabei stand natürlich der Rücktritt von Matthias als Bundesgeschäftsführer, die kommissarische Ernennung und die aktuelle „Krise“ der Partei – die in unseren Augen eine konstruierte ist  – im Fokus. Wir sind der Meinung nun heißt es den Blick fokussieren, die Probleme auf den Tisch, die Herausforderungen annehmen und die Chancen nutzen.

Probleme auf den Tisch: Und zwar die, die wir wirklich haben. Die aktuelle Diskussion über die Krise der Partei ist in unseren Augen konstruiert. Wir haben über eine halbe Millionen Stimmen bei der Bundestagswahl hinzugewonnen. Wir haben einen Mitgliederzuwachs in der Partei wie noch nie und es kommen vor allem viele junge Menschen zu uns, die unsere klare antirassistische Haltung in der Zeit des Rechtsrucks begrüßen und auch in der LINKEN die einzig ehrliche Kraft sehen, wenn wir über den notwendigen Systemwandel im Sinne einer sozialen UND ökologischen Wende sprechen. In der Partei bewegt sich etwas. Das haben auch die Beispiele die in der Parteivorstandssitzung genannt wurden gezeigt, dazu wo und wie sich Neumitglieder und auch langjährige junge Mitglieder auf neuen Wegen und mit neuen Mitteln in der Partei engagieren, um politisch zu wirken. Also eine Situation die uns Mut machen sollte. Doch stattdessen führt der Konflikt um die Frage wer was wie zu entscheiden und zu sagen hat, zwischen Partei und Fraktion dazu, dass diese Entwicklung völlig von dieser Debatte überlagert wird. Daher müssen wir, wenn wir über Probleme sprechen diese konkret benennen und auch so diskutieren und Lösungen finden. Das betrifft die Frage nach dem Verhältnis von Partei und Bundestagsfraktion genauso wie die Frage nach Grundsätzen in unserer Partei. Und das betrifft strategisch auch die Frage wie wir den Milieuwandel in der Partei und in der Wähler*innenschaft angehen. Vermeintlich klare Kategorien wie „prekäre Arbeiter“ und „urbane Jungakademiker“ dabei gegeneinander auszuspielen hilft uns dabei in zweierlei Hinsicht nicht. Erstens sind die Kategorien völlig überholt, denn prekär beschäftigt sind nicht allein Leiharbeiter*innen sondern genauso wissenschaftliche Mitarbeiter*innen an Hochschulen, um nur ein Beispiel zu nennen und zweitens wird keines der „beiden Milieus“ allein dabei helfen, dass wir gesellschaftliche Mehrheiten organisieren können, um politische Kräfteverhältnisse zu ändern. Wenn wir dem Anspruch als plurale Mitgliederpartei ernst nehmen, bedeutet das genauso auch unsere plurale Wähler*innenschaft ernst zu nehmen und Mittel und Wege zu finden aufzuzeigen, was sie vereint und und gleichzeitig Mittel und Wege zu finden die unterschiedlichen Gruppen zielgruppengerecht anzusprechen ohne aber unsere Prinzipien in Frage zu stellen. Und da hilft uns auch nicht die Art und Weise wie derzeit in der Partei von Teilen über Zuwanderung diskutiert wird. Unsere Position im Grundsatzprogramm zur Bewegungsfreiheit und offenen Grenzen in Frage zu stellen und im Ernst wie Oskar Lafontaine am Samstag eine Begrenzung von Zuwanderung zu fordern, ist zynisch. Wer den Kampf um mehr soziale Gerechtigkeit gegen die Migrationspolitik ausspielt vergisst, dass diese Kämpfe schon immer eng miteinander verbunden waren. Das wir als Partei klären müssen, wie wir unsere Forderung nach Bewegungsfreiheit und offenen Grenzen realisieren wollen, ist klar. Wenn also Sahra Wagenknecht eine seriöse Debatte einfordert, dann sollte sie dazu auch bereit sein, statt die Debatte über das Einwanderungsrecht von links als unseriös abzustempeln.  Unseriös ist es in unseren Augen eine Obergrenzendebatte von links führen zu wollen. Mit unserem Grundsatzprogramm hat das wenig zu tun. Und wenig hilfreich ist es auch die Debatte um Milieus und den Umgang mit der Migrationspolitik zu verknüpfen. Beide Themen müssen auf den Tisch, wie noch viele andere, aber bitte mit der notwendigen Sachlichkeit und Ernsthaftigkeit statt mit platten Attitüden und verkürzten Betrachtungen.

Herausforderungen annehmen und Chancen nutzen: Denn nur wenn wir es schaffen wie gerade beschriebenen Probleme,  und die damit verbundenen inhaltlichen und strategischen Fragen sachgerecht zu diskutieren und auch die Chancen zu sehen die sich aus der Bundestagswahl ergeben haben, können wir auch den Aufgaben gerecht werden, die sich uns momentan stellen und die wir auch in der Parteivorstandssitzung diskutiert haben. Da wären die Verhandlungen zur Schwarzen Ampel oder Schwampel, die schon jetzt zeigen, was uns bei einem Abschluss der Verhandlungen blüht. Eine Regierung für die Reichen zu Lasten der sozialen Daseinsfürsorge und Infrastruktur. Denn während sich die Verhandlungspartner*innen in zentralen Bereichen wie Gesundheit, Bildung, Ökologie und sozialer Sicherheit de facto auf nichts geeinigt haben, so sind sie sich einig, dass sie Rüstungsausgaben erhöhen, die Unternehmen entlasten und den Soli abschaffen wollen. In die Debatte über diesen Abbau des Sozialstaates sollten wir unsere Ressourcen stecken und nicht in die konstruierte Parteikrise. Und aktuell sind viele von uns auch wieder in den Protesten gegen den Braunkohleabbau und die aktuelle Klimapolitik eingebunden, gehen mit einem breiten und zunehmend systemkritischen Bündnis auf die Straße für Klimagerechtigkeit und stellen die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit. Der Kampf gegen Rechts geht unvermindert weiter. Hier liegen die die Herausforderungen, denen wir uns aktuell zu stellen haben und auf die wir uns fokussieren müssen. Und die Entwicklung der Partei, der Wandel in der Basis und die Entwicklung von neuen Beteiligungsformaten und Aktionsformen bieten die Chance die Stärkung Basisdemokratie und einer verbindenden Partei als weiter Aufgabe zu ergreifen, statt sie liegen zu lassen. Darauf sollten wir uns ebenso fokussieren.

In diesem Kontext gilt es auch den Wechsel in den Aufgaben der Bundesgeschäftsführung zu betrachten. Wir bedauern den Rücktritt von Matthias als Bundesgeschäftsführer, der die Partei die letzen fünf einhalb Jahre mitgeprägt und vorangebracht hat, zusammen mit den beiden Parteivorsitzenden und allen Mitgliedern in den vielen Wahlkämpfen und Kampagnen. Wir glauben, dass mit Harald Wolf ein Genosse kommissarisch die Aufgaben der Bundesgeschäftsführung übernimmt, der durch seine Erfahrungen und auch seine ausgeglichene ruhige, wenn gleich auch bestimmte Art und Weise, weiß was es anzupacken gilt und auch ein Gespür dafür hat wo er moderierend wirken muss. Und er weiß, dass nicht nur der Staat der kein Fahrrad ist, sondern auch die Partei keines ist. Zwei Schlussfolgerungen aus seinem Text in der Zeitschrift Luxemburg passen auch gut auf die aktuelle Situation in der Partei: „ Die Wählerinnen und Wähler erwarten mehr als die Formulierung von Prinzipien und Bekenntnissen, sie erwarten reale Veränderungen. Sie wollen eine Partei, die einerseits ihren Grundüberzeugungen treu bleibt, andererseits konkrete Verbesserungen und Reformschritte voranbringt. […] der erste Schritt zu einer rationalen Diskussion ist es aber, sich bewusst mit den Gefahren und Problemen möglicher Strategien auseinanderzusetzen.“ In diesem Sinne gilt es für uns im Parteivorstand jetzt nicht so zu tun, als seien die Probleme gelöst und die Konflikte auszusitzen. Nein es gilt sich diesen bewusst zu werden und sich wieder stärker über die inhaltlichen und strategischen Fragen zu streiten.

Den Blick fokussieren und lernen, dass auch die Partei kein Fahrrad ist

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