Am Wochenende verbrachten die Mitglieder des Parteivorstands den 1. Advent dieses Jahres gemeinsam in Berlin zur letzten Beratung in 2017. Dabei hatte die Tagesordnung angesichts des Umfangs und der Themen immer den beschaulichen Charakter dieses Kalendertages. Einwanderungspolitik von links, Querfrontdebatten, die strategische Aufstellung für 2018 und die Entwicklung der Parteiarbeit und -strukturen galt es zu beraten und einen Parteitag einzuberufen. Haben wir alles gepackt und wie wir finden, gut in der Sache diskutiert und wichtige Weichen gestellt.
Für eine solidarische Einwanderungsgesellschaft, aber wie?
Diese Frage ist aus unserer Sicht eine zentrale, wenn wir über das vorliegende Konzept zur einer LINKEN Flüchtlings- und Einwanderungsgesetzgebung diskutieren, wie wir es am Sonntag getan haben. Das vorliegende Papier, was die Grundlage der Debatte darstellt versucht einen Paradigmenwechsel zu vollziehen. Zum einem ist es der Versuch mit der restriktiven Ausrichtung des 2006 verabschiedeten Zuwanderungsgesetzes zu brechen und zum anderen kann die Diskussion einer LINKEN Einwanderungspolitik mit den Prämissen dieses Konzeptpapieres der aktuellen Diskussion etwas entgegensetzen. Denn während CDU/CSU, FDP, SPD und Grüne alle im Grunde mit ihre Konzepten in der Logik einer Einwanderungsgesetzgebung verbleiben, die sich an den Bedürfnissen des deutschen Arbeitsmarktes ausrichten und nach Nützlichkeit und Verwertbarkeit sortieren wollen, bricht das vorliegende LINKE-Konzept mit dieser Logik. Es ist der Versuch einen Vorschlag zu unterbreiten, wie unsere Forderung aus dem Erfurter Programm nach offenen Grenzen und Bewegungsfreiheit für alle innerhalb des bürgerlichen Rechtsstaates umgesetzt werden kann. Es orientiert sich dabei an den Bedürfnissen derer die aus unterschiedlichsten Gründen nach Deutschland kommen, sei es freiwillig oder unfreiwillig. In der Diskussion im Parteivorstand wurde das ein oder andere Mal eingewandt, eine solche Debatte sei für uns strategisch gesehen nicht sinnvoll. Wir wollen dem widersprechen. Wir halten die Debatte über eine LINKE Einwanderungsgesetzgebung in zweierlei Hinsicht für sinnvoll und wichtig. Erstens können wir so der neoliberalen Konsenssoße der anderen Parteien und der rassistischen Hetze der AfD konkrete Alternativen entgegensetzen und den Versuch wagen, den Diskurs von rechts anzugreifen. Zweitens eröffnen wir so konkrete Perspektiven zum aktuellen repressiven Einwanderungssystem und untersetzen damit die Debatten mit konkreten inhaltlichen Vorschlägen, die von uns als Partei mit einem Gestaltungsanspruch erwartet werden. Wer hingegen meint, das Papier sei reines Wunschdenken und gleichzeitig zu restriktiv, der scheint den Gestaltungsanspruch vermissen zu lassen. Denn wenn Wunschdenken kritisiert wird, warum entwickeln wir dann als Partei noch Visionen wie Politik für die Menschen anders gemacht werden kann. Und wer nur einzelne Punkte aus dem Konzept hervorkramt, wie die vorgeschlagene Regelung zur Ausreisepflicht, der reist Sachverhalte aus dem Kontext und verschleiert, dass diese Ultima Ratio Abschiebung vor dem Hintergrund der extrem liberalen Regelungen zum Aufenthalt fast keine Rolle mehr spielen wird. Das bedeutet nicht, dass das Konzept immun ist gegen Kritik und gerade dieser Passus kritisch betrachtet werden darf und sollte, aber eine sachliche kontroverse Debatte verlangt eine angemessene Betrachtung der einzelnen Vorschläge im Kontext des ganzen Konzeptes.
Wir finden dieses Konzept ist ein Versuch revolutionäre Realpolitik praktisch werden zu lassen: Es ist visionär, weil es mit der Logik von Einwanderung die bisher vorherrscht elementar bricht – individuelle Bedürfnisse berücksichtigen statt Punkte vergeben ist das Motto. Und es ist realpolitisch, weil es versucht unseren Anspruch von solidarischer Einwanderungsgesellschaft in die Form des bürgerlichen Rechtsrahmens zu setzen und somit umsetzbar werden zu lassen. Es reicht aus unserer Sicht nicht sich auf der einen Seite auf die Forderungen des Erfurter Programmes zurückzuziehen. Und es ist falsch auf der anderen Seite Korrekturen unserer Flüchtlingspolitik zu fordern und Obergrenzen-Debatten nachzulaufen. Wir brauchen die Debatte in der Partei, wie wir für die Menschen die zu uns kommen Bewegungsfreiheit und gesellschaftliche Teilhabe rechtssicher machen und den Rechtsanspruch formulieren. Das Konzept versucht dies, wenngleich es noch Schwächen hat. Die Diskussion im Pateivorstand war ein wichtiger Auftakt. Denn auch die Arbeitsgruppe die das Konzept erarbeitet hat und das Papier selbst erheben nicht den Anspruch darauf, den Stein der Weisen gepachtet zu haben. Es ist der Versuch einen Raum über konkrete inhaltliche Debatten zur Umsetzung unserer asyl- und migrationspolitischen Forderungen zu öffnen ohne an den Grundfesten zu rütteln. In diesem Diskussionsraum können und sollen sich alle Mitglieder und Strukturen eingeladen fühlen, um kontrovers aber sachlich in der Sache zu diskutieren, wo es im Konzept hakt. Diesen Raum sollten wir nun alle mit Leben füllen, um Migration weiter von links zu denken.
Klare Kante gegen Querfront
Auch diskutiert wurde der Umgang mit einer für den 14.12. geplante Kundgebung vor der LINKEN Bundesgeschäftsstelle und der Landeszentrale der Berliner LINKEN einer Querfronttruppe.
Anlässlich dieser hat der Parteivorstand der LINKEN folgenden Beschluss gefasst: „Der Parteivorstand bekräftigt sinngemäß seinen Beschluss 2014/215 vom 25./26. Mai 2014: „DIE LINKE distanziert sich unmissverständlich von Aktivitäten von Rechtspopulisten, Nationalisten, Verschwörungstheoretikern und Antisemiten, die […] rechtspopulistische Welterklärungsmuster und ‚Querfront‘-Strategien salonfähig […] machen (wollen). […] DIE LINKE wird mit diesen Kräften ganz grundsätzlich nicht zusammenarbeiten.“ Der Parteivorstand erklärt sich solidarisch mit allen Linken, die Querfrontbestrebungen kritisieren und dafür angegriffen werden, darunter dem LINKEN Kultursenator Klaus Lederer und seinem Recht, sich kritisch zur sogenannten Preisverleihung an Ken Jebsen im Berliner Kino Babylon zu äußern. Der Parteivorstand erwartet, dass Mitglieder der LINKEN diese Kundgebung nicht unterstützen und sich daran nicht beteiligen.“
Wir finden: Gut und richtig so! Wenn wir als Partei immer von Glaubwürdigkeit reden, sollten wir diesen Maßstab auch an uns anlegen. Und mit der geplanten Demo und dem Aufruf auf dem auch LINKE Mitglieder als Redner*innen angekündigt waren, wird der Beschluss aus dem Jahr 2014 konterkariert. Wir können auch nicht verstehen, wie ernsthaft eine Person wie Ken Jebsen verteidigt werden kann. Eine Person die bspw. dem Womens March unterstellt sich von George Soros für Werbung zur Abtreibung instrumentalisieren zu lassen, um Stammzellenforschung mit Embryonen zu ermöglichen. Eine Aussage die unserer Unterstützung und Solidarität als Partei mit dem Womens March entgegensteht und in der Schlussfolgerung der Kritik auch unserer Solidarität mit Kristina Hänel und dem Kampf gegen den unsäglichen §219a zu widerläuft. Und dies ist nur ein Beispiel für die kruden Theorien die Jebsen fabriziert. Wer sich mit diesem Menschen und der Querfrontbewegung gemein macht, der muss auch mit der Kritik aus der Partei zu Recht kommen. Und wer die Klaus Lederer seit seiner Kritik an Jebsen einem üblen Shitstorm ausgeliefert ist, hat als Genosse auch die Solidarität verdient.
Linker Fahrplan 2018
Nun zudem was da noch kommt. Ein neues Jahr steht vor der Tür. Ein Jahr das uns angesichts des ambivalenten Wahlergebnisses, der Entwicklung der Mitgliederzahlen und Umbrüche in der Arbeit unserer Partei, sowie den zentralen inhaltlichen Debatten einiges abverlangen wird. Vier Handlungsfelder haben wir deshalb diskutiert:
- Die anstehenden Wahlen im kommenden Jahr
- Unsere strategische Aufstellung als Partei
- Die Parteientwicklung und Mitgliedergewinnung
- Die Schärfung unseres Profil und Raum für strategische Diskussionen kontrovers aber konstruktiv
Den verabschiedeten Fahrplan wollen wir an der Stelle gar nicht herunterbeten. Den könnt ihr hier nachlesen. Aber wir wollen kurz darauf hinweisen, was wichtige Aspekte sind, denen wir uns widmen müssen. Wir brauchen wieder mehr Debattenräume. Mit der Diskussion zum Einwanderungsrecht haben wir einen eröffnet. Mit Blick auf die Europawahlen werden wir einen weiteren brauchen. Beide und viele andere Themen sind Zukunftsfragen und deshalb müssen wir auch Raum zum denken von Utopien schaffen. Dazu soll es im September wieder einen Zukunftskongress in Berlin geben, der genau dafür genutzt werden soll. Wir müssen aber auch darüber diskutieren, wie wir uns strategisch angesichts der Wahlergebnisse aufstellen. Brauchen also auch dem Raum dafür zu diskutieren, wie wir die unterschiedlichen Milieus ansprechen, statt sie gegeneinander auszuspielen. Dazu soll es Regionalforen geben. Aus der Kampagne „Dass muss drin sein“ haben wir unsere Schlüsse gezogen sowohl für die Organisation der Kampagnenarbeit, als auch für die inhaltlichen Schwerpunkte neuer Kampagnen. Auch für die Diskussion und Umsetzung dessen soll und wird es einen Debattenraum geben mit einem Workshopwochenende im Januar.
Angesichts der weit über 7500 neuen Mitglieder die in diesem Jahr zu uns gekommen sind, die oft jung sind und mit völlig neuen Biografien und Erfahrungen politischer Arbeit und auch unterschiedlichsten Lebensverhältnissen zu uns stoßen, müssen wir solche Debattenräume bieten und müssen und wollen langfristig einbinden. Denn es geht nicht nur um Mitgliedergewinnung. Es geht auch darum den Mitgliedern stärker die Möglichkeit zur Gestaltung der Partei und besseren Selbstwirksamkeit im politischen Alltag als LINKE zu geben. Daher soll u.a. der Austausch der U35- Mitglieder, stärker auch in den Ländern, fortgeführt werden und auch stärker selbstorganisierte Projekte unterstützt werden. Auch viele neue Praktiken und Projekte wie die Haustürgespräche sollen nicht in der Mottenkiste verschwinden. Die Kreisvorsitzenden- und Aktionskonferenz soll sich schwerpunktmäßig mit der Frage beschäftigen, welche neuen Ansätze und Formate zur nachhaltigen Parteientwicklung vor Ort laufen, was sie bewirken und wie sie gestärkt werden können.
Partei- und Verbandsentwicklung: Rückblicke und Herausforderungen
Berichtet wurde uns auch über die Mitgliederentwicklung des Jugendverbandes, des Studierendenverbandes und der Partei. Hier kurz ein Überblick über die Trends, die Mut machen und positiv stimmen zum Abschluss. Erstmals seit 2009 verzeichnen wir als Partei eine deutliche Mitgliedersteigerung. Über 62.000 Menschen sind Mitglied unserer Partei. Über 7500 Menschen haben in diesem Jahr den Weg zu uns gefunden. Deutlich hervor sticht dabei das Durchschnittsalter. Während das de Partei bei über 56 Jahren liegt, waren die neuen Mitglieder im Schnitt 34 Jahre alt (65% der neuen Mitglieder waren jünger als 35). Zu denken geben muss allerdings der geringe Anteil an Frauen von nur 31 Prozent. Diese Trends die sich hier abzeichnen, spiegeln sich auch im Jugendverband und dem Studierendenverband wieder. Beide verzeichnen einen Anstieg an Mitgliedern, beide können die Gründung neuer Gruppen stolz verkünden (ausgehend von der Gruppenzahl, ist der SDS jetzt der größte bundesweit aktive politische Studierendenverband ;)), beide müssen allerdings auch eingestehen, dass der Anteil an Frauen in den Verbänden und bei den Neueintritten, geringer ist. In der Diskussion wurde daher auch schnell deutlich, dass wir diese Problemlagen die sich durch alle drei Strukturen ziehen, mit Blick auf die Debatte über die strategische Ausrichtung der Partei und Strukturentwicklung miteinander angehen müssen.
Zum Schluss
In Sachen Dinge gemeinsam angehen, passt es zum Schluss, dass wir uns Katja noch anschließen wollen, die angesichts der aktuellen Stimmung und Debattenlage in der Partei mit ihrem Gastbeitrag im Neuen Deutschland, den Nerv trifft. Es muss in der aktuelle Zeit und Situation unsere Aufgabe sein, das zusammenbringen, was diese Gesellschaft auseinandertreibt, um so das Potential zu haben, um über uns hinaus zu wachsen. Wir sollten es wagen: „Für eine LINKE auf der Höhe der Zeit, die sich nicht vom Zeitgeist treiben lässt, sondern vielmehr diesen nach links verschiebt.“