Lesen was beschlossen wurde

Nun ist er veröffentlicht, der am Samstag auf dem Bundesparteitag in Leipzig verabschiedete Leitantrag. Eine Gelegenheit mit Blick auf die Debatte über Migration und Asyl nochmal einen kurzen Blick auf den beschlossenen Text zu werfen, da ja bereits nach dem Beschluss der Streit um die Deutungshoheit begann. Ein nüchterner Blick hilft aber für die anstehende Debatte. Zunächst erstmal beinhaltet der Antrag einen Dreiklang die Politik zu Flucht und Grenzen betreffend aus Fluchtursachen bekämpfen, offene Grenzen und eine soziale Offensive für alle. Das Schlagwortpaar offene Grenzen findet sich konkret in folgenden Passus im Antrag: „Wir wollen das Sterben im Mittelmeer und an den europäischen Außengrenzen beenden. Dafür brauchen wir sichere, legale Fluchtwege, offene Grenzen und ein menschenwürdiges System der Aufnahme von Geflüchteten und einen Lastenausgleich in Europa. Abschiebungen lehnen wir ab. Wir wollen Bleiberechte für Menschen, und statt Familien auseinanderzureißen, wollen wir sie zusammenführen.“

Nun könnte mensch interpretieren, dieser Kontext bedeute ja nur eine Forderung nach offenen Grenzen für Geflüchtete und damit wäre ja die Debatte über die Begrenzung von Arbeitsmigration durchaus gerechtfertigt. Allerdings ersetzt der Leitantrag nicht unser Grundsatzprogramm und in dem steht immer auch immer noch auf Seite 54: „Wir fordern offene Grenzen für alle Menschen.“ Der Leitantrag steht nicht über dem Grundsatzprogramm, er widmet sich der Analyse und den sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen für unsere politische Arbeit in der aktuellen gesellschaftspolitischen Situation. Insofern steht der Leitantrag mit seiner Forderung nach offenen Grenzen meiner Meinung nach für das klare Bekenntnis gegen die Abschottungsfantasien von rechts und die laufenden Abschottungsmaßnahmen der Konservativen. Wir stehen weiter zu dem Recht auf Bewegungsfreiheit, aller Menschen. Für das Recht auf Migration, aus welchen Gründen auch immer.

Oder wie es Jörg Schindler im Interview mit dem Tagesspiegel gesagt hat „Ich lese die Beschlüsse. Und der Beschluss sagt: offene Grenzen. Punkt.“

Kein Wegducken

Nun wurde auch noch eingewandt, dass ja aber die Anträge für ein klares Bekenntnis zu offenen Grenzen (Anträge P.6, G.5 und G.9) an den Parteivorstand überwiesen wurden und damit eine Entscheidung verschoben wurde. Mit dem eben dargestellten Text im Leitantrag und im Grundsatzprogramm würde ich aber auch darauf antworten: nein. Die Anträge wurden nicht verschoben, weil sich der Parteivorstand wegducken wollte. Sondern weil die durchaus richtigen und dem Grundsatzprogramm folgenden Forderungen nach „offenen Grenzen“ im Sinne der Verteidigung der Bewegungsfreiheit noch zu konkretisieren sind und bei der Frage nach der realen Umsetzungsperspektive dieser Forderung aus meiner Sicht, dass in den Anträgen beinhaltete Verbot über ein Einwanderungsgesetz von links zu diskutieren, diesen – dem Wesenskern einer modernen sozialistischen Partei entsprechenden – Forderungen nicht geholfen hätten.

Und aus der begrenzten Debatte zur Migration am Sonntag gingen wir mit dem Vorschlag von Katja, Bernd, Sahra und Dietmar zum einen eine gemeinsame Klausur von Bundestagsfraktion und Parteivorstand und zum anderen eine breit aufgestellte Fachkonferenz zum Themenfeld durchzuführen. Die überwiesenen Anträge, insbesondre G.5 und G.9 bieten dazu ebenso wie viele Beiträge auf der Seite des DISPUT eine gute Grundlage leidenschaftlich aber konstruktiv in der Sache, das gemeinsame noch vorne stellend und zielorientiert Maßnahmen zu formulieren, wie wir „offene Grenzen“ realisieren wollen.

Ich habe in meiner Bewerbungsrede für den Parteivorstand gesagt, dass ich mich diesem Prozess intensiv widmen will und das werde ich tun. Denn nur aus der Verbindung der Utopie von einer Welt, in der alle Menschen freiwillig entscheiden können wo sie leben wollen und einer darauf abzielenden realen Umsetzungsperspektive werden wir aus meiner Sicht glaubwürdig in der Frage und können diese jenseits polemischer und verkürzter Sichtweisen auf Migration beantworten.

Zu einer viel beachteten Aussage will ich in dem Kontext nochmal was feststellen: Selbst wenn offene Grenzen den Hunger leidenden Menschen in Afrika in ihrer konkreten Position nicht helfen sollten, so helfen geschlossene Grenzen, denen die bereits an ihnen sitzen, zurückgeschickt werden oder auf dem Weg zu diesen sterben genauso wenig und zwar egal aus welchen Gründen Sie ihre Heimat verlassen. Es heißt daher für uns das eine zu tun, nämlich Fluchtursachen zu bekämpfen und das andere nicht zu lassen, Menschen die Möglichkeit Grenzen zu überwinden und wenn es ihr Ziel ist eben auch nach Deutschland zu kommen. Und das Wie wir das schaffen? Lasst es uns jetzt gemeinsam diskutieren und konkret werden.

P.S.: Es lohnt natürlich auch den ganzen Leitantrag zu lesen, denn dann wird deutlich, dass wir entgegen der Lesart einiger natürlich auch an der Seite der Leiharbeiter*innen, Pfleger*innen, Taxifahrer*innen, etc. stehen. Weil wir als LINKE die Grenze nicht zwischen Deutschen und Nicht-Deutschen ziehen, sondern zwischen oben und unten!

 

 

Offene Grenzen

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